Was geschieht auf dem Welti-Furrer-Areal?
Ein Experten-Podium diskutierte Mitte April 2023 anhand der Pläne Fürs Welti-Furrer-Areal die Perspektiven für die Stadtentwicklung in Zürich-West. Besteht noch Hoffnung fürs zubetonierte Quartier?
Entlang der Pfingstweidstrasse plant das Unternehmen Welti-Furrer, den dort zwischen Parkhaus und Gewerbehaus stehenden Block "Prime 2" um zwei gleiche Häuser zu erweitern und die Gebäude, die jetzt dort stehen, abzubrechen. Dagegen regt sich Widerstand.
Ein Komitee von Architekten, Planern, Grün-Spezialisten und Denkern hat darum den Vorschlag zur „blühenden Pfingstweide“ lanciert, ein alternatives Nutzungskonzept für das Welti-Furrer-Areal. Es sieht eine Weiternutzung und Neuinterpretation des Bestandes statt Abriss und Neubau vor.
Sekundiert wird die Idee von der Hamasil-Stiftung, die gegenüber an der Pfingstweidstrasse ansässig ist – sie hat zur Lancierung ihres alternativen Nutzungskonzepts das Architekturmagazin "Hochparterre" eingeschaltet, das der Thematik ein Sonderheft widmete. Im Kulturpark an der Pfingstweidstrasse diskutierte ein Podium über die zukünftige Stadtentwicklung in Zürich-West.
Die Entwicklung von Zürich-West ist ein «Prozess der kontinuierlichen Ernüchterung», wie der Podiums-Moderator Marcel Bächtiger von Hochparterre es eingangs des Podiumsgesprächs beschrieb. Es diskutierten Stadtplanungs-Experten, Politiker und Soziologen. Grosse Abwesende waren allerdings die Knecht-Gruppe, Grundeigentümerin des Welti-Furrer-Areals sowie deren Architekt Max Dudler - beide hatten kein Interesse an dem Austausch bekundet und wollen an ihren Plänen festhalten.
In welcher Stadt wollen wir leben?
Eingangs des Gesprächs formulierte Planerin und Architektin Kornelia Gysel die Ziele der Arbeitsgruppe: «Es soll eine Debatte angestossen werden über die Stadt von morgen, in der wir gerne leben wollen – klimasensibel, lebenswert und divers.» Das Ziel seien vielfältige Lebensräume sowie vermischte Wohn- und Arbeitswelten. Man habe «das Bild der Permakultur aus der Landwirtschaft auf den Stadtraum übertragen wollen», so Gysel.
Knackige Voten kamen von Martin Hofer, der die Stadtentwicklung in Zürich-West die vergangenen 25 Jahre eng begleitet und teilweise mit gestaltet hat. Hofer auf die Frage, was in Zürich-West schief gelaufen ist: «Ich muss leider sagen, dass es traurig herausgekommen ist: Es gibt in Zürich-West fast keine guten Neubauten, das meiste ist bitteres Mittelmass. Man hat viel zu viel abgebrochen und medioker neu gebaut.»
Todesstoss für Zürich-West?
Martin Hofer war Co-Initiant der Arbeitsgruppe «Blühende Pfingstweide» und erinnert sich an seine erste Begegnung mit jenem Bürogebäude, das Welti-Furrer nun vervielfältigen will: «Der schwarzgraue Klotz hat mich sehr erschreckt, ich dachte es sei hier ein Ufo gelandet.» Zwei weiterer solcher «Klötze» seien zu viel, so Hofer: …«Das wäre der Todesstoss für Zürich-West, und das müssen wir verhindern.»
Das Projekt «Blühende Pfingstweide» plädiert dafür, die letzten Bestandbauten des einstigen Industriequartiers zu erhalten. Dieses Ziel findet auch Anna Schindler, Direktorin der Zürcher Stadtentwicklung, im Prinzip gut: «Die blühende Pfingstweide wäre ganz bestimmt ein begrüssenswertes Szenario für Zürich-West», sagt die Chefbeamte, «Das Projekt nimmt viel von dem auf, was in den Zielen für eine nachhaltige Stadtentwicklung formuliert ist.» Schindler gab aber auch zu bedenken: «Man kann Freiräume nicht bauen – aber man kann sie einfach lassen.»
Es wird kalt – und zugleich heiss
Etwas leidenschaftlicher warf sich Soziologin Christina Schumacher in die Duskussion – sie ist Dozentin für Sozialwissenschaften am Institut für Architektur der FHNW in Basel: «Eine gute Stadt ist eine Stadt mit guten Bauten und Menschen, die gerne hier leben und den Raum bevölkern. Es gibt in Zürich-West aber zu viel Arbeitsplätze / Büros und zu wenig diverse Wohnungen. Ausserdem fehlen die Freiräume dazwischen. Es wird einem eher kalt hier – ausser im Sommer, da wird es in Zürich-West auch richtig heiss. Diese Entwicklung könnte zukünftig ein Argument sein, um die Entwicklung zu verändern.»
Die Megathemen Nachhaltigkeit und Klimawandel wurden denn auch im Laufe des Podiums als mögliche Hebel identifiziert, um den Todesstoss für Zürich-West noch abzuwenden. Wenn es gelänge, den Bauherren davon zu überzeugen, dass er Rendite erzielen kann, ohne ganze Quartiere abzureissen und neu zu bebauen, wäre dies eine Diskussionsbasis. Ausserdem würde die Politik rasch dazu springen. Da stimmte auch Gemeinderat Sven Sobernheim zu, der für die Grünliberalen politisiert und auf dem Podium im Kulturpark sass – er gab aber auch zu bedenken: «Es ist nicht die Frage, ob man so etwas politisch will. Sondern ob es überhaupt geht.»
Was kann man überhaupt noch machen?
Und genau da liegt wahrscheinlich in diesem Fall der Hund begraben: Das Projekt von Welti-Furrer und Max Dudler entspricht exakt den vor zwanzig Jahren beschlossenen Sonderbauvorschriften für Zürich-West sowie den darin gezeichneten Baulinien. Man kann dagegen zwar Einsprachen einlegen und das Projekt verzögern, aber rechtlich spricht wenig gegen Abriss und Neubau. Das wissen alle Beteiligten. Martin Hofer gab schulterzuckend zu: «Die geplanten Neubauten sind baurechtlich korrekt, sie werden von der Stadt darum sicher durchgewunken.»
Gegen das passive «Durchwinken» wollte sich die oberste Zürcher Stadtplanerin dann aber schon wehren. Anna Schindler leicht genervt: « Wenn der Eigentümer etwas nicht will, kann die Stadt nichts gegen seinen Willen durchsetzen. Es gibt das Baurecht und auch ein Eigentumsrecht, das muss man bedenken – es ist nicht möglich, formal korrekte Projekte abzulehnen, nur weil man diese nicht schön findet.» Gesetze zu ändern, so Schindler, dauere oft Jahrzehnte – bis dahin sei das Areal überbaut, aller Einsprachen zum Trotz.
Und so gibt es wohl eine zähe Patt-Situation – es sei denn, die Bauherrin nimmt den Ball auf, der ihr hier zugespielt wird. Soziologin Christina Schumacher warnte: «Es ist eine unheimlich deprimierende Diskussion, die wir hier führen. Der Wandel der spätmodernen Gesellschaft hat sich enorm beschleunigt, aber wir kämpfen gegen Sonderbauvorschriften aus einer komplett anderen Zeit, in der wir anders gedacht und geplant haben. Es ist empörend, dass dringende Themen wie Klimawandel für die Stadtentwicklung nicht höher gewichtet werden.