Der Tagi verbringt 24 Stunden im Westen
Der «Tages-Anzeiger» hat ein Reporter-Team losgeschickt, um 24 Stunden lang im Kreis 5 und Zürich-West zu verbringen. Eine kurze Zusammenfassung.
Der «Tages-Anzeiger», von Locals auch einfach nur «Tagi» genannt, ist Zürichs Zeitung des Volkes ... nicht so bourgeois und bürgerlich wie die «NZZ», nicht so bretthart alternativ wie die «WOZ», nicht so schäbig und boulevardesk wie «20minuten« oder «Blick». Mitten im Leben, ein bisschen links, bei den Leuten – das ist der Tagi. Nun hat die Zeitung ein Reporter-Team losgeschickt, um 24 Stunden im Kreis 5 zu verbringen. Die Reportage zeigt den Charakter, die Stärken und auch die Schwächen des Quartiers.
Der Artikel ist Teil einer Sommerserie, in der der «Tagi» verschiedene Ecken der Stadt erkundet. Den Ausflug ins Industriequartier fasst das Blatt wie folgt zusammen: «Zwischen Gleisen, Roger Federer und Zwergseidenhühnern: Das Industriequartier ist vielfältig, aber auch trendy.» – Der Artikel spielt je ziemlich genau 50:50 im «alten» Kreis 5, also dem historischen Stadtteil zwischen Hauptbahnhof und Viadukt sowie im «neuen» Industriequartier, das sich seit Mitte der 1990er Jahre zwischen Viadukt und Autobahnende im Westen entwickelt hat. Letzteres ist der «home turf» der Vereinigung Kulturmeile Zürich-West.
Der Tag der «Tagi»-Reporter beginnt um 07 Uhr ebendort, am äusseren Ende unseres Quartiers, auf der Stadionbrache Hardturm, wo sich seit dem Abriss des alten Fussball-Stadions 2011 ein neues, alternatives und durchaus pittoreskes Leben entfaltet. «Ein Ort für alle, mit gewissen Regeln», stellt der «Tagi» fest, «Mini-Pigs leben auch hier, sie heissen Scuby und Soraya.» Eigentlich schade, wenn dieses bunte Treiben eines nicht zu fernen Tages wird weichen müssen, wenn das bitter umkämpfte «Ensemble» aus neuem Stadion, Wohntürmen und Mantelnutzungen hier gebaut wird.
Danach geht es wild hin und her durchs Quartier, zuerst zum Busbahnhof beim HB, dann wieder zurück Richtung Westen in die Markthalle im Viadukt ... Das Personal dort sei «meganett», schreibt die Zeitung, «Wer durch die Markthalle schlendert, fühlt sich wie in den Ferien.» – Anschliessend geht es vorbei am Prime Tower über den Gleisbogenweg ins Museum für Gestaltung im Toni-Areal.
Zur etwas untypischen Zeit (11 Uhr) ist die «Tagi»-Crew dann zurück an der Josefstrasse 106, umweit der Langstrasse, wo das Sogar-Theater zuhause ist. «Leute machen Kleider», heisst das aktuelle Stück, das dort gespielt wird, und es wird einem nicht ganz klar, warum ausgerechnet dieser Ort um diese Zeit eine Rolle spielt, wo man doch etwa gleich gegenüber bei Caredda einen Espresso und die besten italienischen Backwaren hätte geniessen können? Kaffee trinken die «Tagi»-Reporter aber erst um 12 Uhr, und zwar beim Café Flavour an der Langstrasse 200.
Ab 13 Uhr reist die rastlose Reporter-Gruppe dann wieder westwärts, besucht die Café-Buchhandlung Sphères und anschliessend den Turnschuh-Hersteller On, der auch in Zürich-West residiert und ein bisschen Weltstadt-Glamour und Influencer-Chic ins Quartier bringt. Um 14 Uhr folgt ein Kultur-Stopover im Migros Museum für Gegenwartskunst, Teil des Löwenbräukunst-Komplexes an der Limmatstrasse. Danach wird bei Rico Bilger im Sec52 ein Buch gekauft, im Kino Riff-Raff ein Stopp gemacht, im Zürcher Brockenhaus gestöbert und um 16 Uhr geht's dann wieder westwärts auf die Josefwiese zum chillen. «Auf der Wiese wird tschuttet, gegrillt, Frisbees fliegen durch die Luft, genauso wie Kubb-Hölzer, zwischen den Bäumen sind immer wieder Slacklines gespannt, und irgendwo macht jemand Yoga», fasst der «Tagi» das Leben im beliebten Park zusammen.
Um 17 Uhr werden die «Tagi»-Reporter dann wieder zu veritablen Touristen und erklimmen den Freitag-Tower an der Geroldstrasse: «Von oben hat man einen schönen Blick auf das Industriequartier. Und sieht, was man noch machen könnte. Zum Beispiel gleich nebenan auf der künstlichen Welle bei Urbansurf surfen.» – Den alten Foto-Automaten nebenan, gleich beim Helsinki, verpassen die Reporter natürlich auch nicht. Um 18 Uhr pendeln die Berichterstatter dann wieder zurück an die Neugasse (Vineria Centrale) und die Josefstrasse, zu Stefan Tamos gut etablierten Restaurant Josef: «Wir fühlen uns wohl hier. Das hat vor allem mit dem netten Personal und der perfekten Mischung aus Bar und Restaurant zu tun», schreibt der «Tagi».
Es folgt ein Besuch im Zollhaus an den Gleisen, bevor ab 21 Uhr so langsam das Nachtleben beginnt, zuerst mit einem Abstecher ins Mata-Hari an der Langstrasse 237 und dann einem Besuch im Exil an der Hardbrücke. Mit einem schwer nachvollziehbaren Umweg übers Schulhaus Schütze (um eine Selfie zu machen, wirklich!?) landet die «Tagi»-Crew dann um Mitternacht dort, wo für viele die Nacht im Westen beginnt: ins Hive an der Geroldstrasse. «Wenn andere Orte schliessen, gehts in diesem Heim für elektronische Musik erst richtig los», weiss der Reporter. Ende der Reise.
Fazit: Logisch ist es nicht, aber im wilden Zick-zack kann man Zürich-West auch erkunden. Die Fotos von Boris Müller sind heiter und assoziativ. Dass der «Tagi» aber den neuesten Park der Stadt auf dem Josef-Areal, das alternative Zentrum der Zentralwäscherei, die Maag-Hallen und das Hipster-Mekka der Läden im Viadukt nicht beschrieben hat, ist eine schwere Unterlassung. Wir warten auf eine Fortsetzung!